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Die neue „Illegalität“

Kommt euch das bekannt vor? Am Telefon:

 

... Können wir uns heute Abend sehen? Nur ein kurzer Spaziergang? Versprochen, genug Abstand, wenn du willst, auch mit Maske. Mir fällt die Decke auf den Kopf ...

 

... Ja, zu Ostern sind sie schon gekommen, nur die zwei, am Nachmittag. Nein, ehrlich, wir saßen alle nur auf der Terrasse. Kaffee habe ich ihnen schon einen angeboten – aber der ist ja eh gekocht, eingeschenkt haben sie ihn sich selbst ...

 

... Stell dir vor, heute habe ich mich einfach in mein Auto gesetzt und bin zu meiner Schwester gefahren. Das erste Mal seit sechs Wochen! Komisch war es schon, in die Siedlung zu fahren, manche Nachbarn schauten argwöhnisch über ihre Gartenzäune. Aber he, ich glaube nicht, dass die das nie tun. War eh nur auf einen Tee für eine halbe Stunde dort. Maske? Nein, alles was recht ist, wir saßen sowieso zwei Meter voneinander entfernt ...

 

... „He – hallo! Abstand!“, meinte sie gestern lachend. War nur ein Scherz. Wir unterhalten uns schon seit Anfang dieser ganzen Geschichte immer am Nachmittag am Zaun, keiner geht außer Haus von uns, was sollen wir denn da schon aufgeschnappt haben? Wenn ich mir die gemeinsame Auszeit nicht mehr gönne, dann geh’ ich ein. So gar nicht ratschen, nein ... 

 

... Stimmt schon, im Grunde hätte ich ihn nicht reinlassen dürfen. Aber wie soll ich das sonst machen? Er ist schwerer Legastheniker, sonst bekommt er die Hilfe in der Schule. Wie soll er denn jetzt beim Zuhauselernen diese ganzen Aufgaben bewältigen?! Ein kurzer Aufsatz – zwei Stunden, und das mit meiner Hilfe! Ich kann da nicht nein sagen, und Nachhilfe am Telefon, ohne mich, ich muss ihm ja auch so viel buchstabieren ...

 

... Er hat nicht sterben können. Sein größter Wunsch war immer gewesen, dass ich in seinen letzten Stunden auf Erden bei ihm bin, ihn hinüberbegleite. Beim offenen Fenster im Erdgeschoß hinein grüßte ich ihn und er erkannte mich! Es rührte mich sehr. Die Salbung erhielt er von seiner lieben Frau, ich betete im Garten vor dem Fenster für ihn. Am nächsten Tag ging er von uns. Gut, dass mich mein Gefühl zu ihm gebracht hat ...

 

Alles so oder ähnlich stattgefunden, vieles oft mit zögerlichem Ton, oft etwas kleinlaut, dann wieder verteidigend oder auch entschieden und ernst erzählt – es war dringend nötig! Alles kleine Abweichungen von den aktuell geltenden Vorschriften und Empfehlungen: keine Besuche bei anderen, keine familienfremde Personen einladen, nicht länger als fünfzehn Minuten mit einer nicht familienzugehörigen Person sprechen. Alles keine leichten oder leichtfertigen Entscheidungen, alles für die betroffenen Personen in dem Moment wichtig, bedeutend, erforderlich.

Die Art der Berichterstattung lässt ein Gefühl des „Illegalen“ aufkommen. Ein sehr sonderbares Beiwort zu einem gemütlichen Kaffeetrinken, einem schnellen Ratscher, einem Kurzbesuch, einer gemeinsamen Lernstunde, einer Sterbebegleitung.

 

Die große Frage nach dem Wie lange soll das noch so gehen? brauche ich hier nicht zu stellen. Erstens beschäftigt sie uns sowieso alle und zweitens kann es niemand von uns oder auch den anderen  – da draußen – wirklich zuverlässig beantworten. Doch eines ist, so denke ich, für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden essenziell: keine Begegnungen der Liebe, der Freundschaft, der Hilfsbereitschaft, der Unterstützung oder des Austausches mit Bauchweh, schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen! Genießt diese Momente! Jeder geht mit Vorsicht an solche Treffen heran, keiner traut sich, Grenzen zu überschreiten, unvernünftig oder verantwortungslos zu handeln. Dann bitteschön lasst es euch in dieser Zweisamkeit, in diesen Momenten der zumindest gefühlten Nähe doch gut gehen!

 

Wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen: die Gemeinsamkeit. Sie soll wieder zu unserem Alltag dazugehören und sich definitiv nicht illegal anfühlen!

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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