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„So Gott will ...“

Das Leben ist voller Begegnungen. Viele gehen spurlos an uns vorüber. Viele sind alltäglich und haben für uns keine besondere Bedeutung. Einige sind einer Erinnerung würdig. Und manche wenige sind vielleicht im Moment nicht lebensverändernd, doch so prägend, dass sie uns auch Jahre später in der Erinnerung berühren.

 

„Lo soleo mi fa canta!“ (Die Sonne bringt mich zum Singen!) Dieser Satz schwingt heute noch in meinen Ohren und meinem Herzen nach. Als Jugendliche durfte ich einen Sprachurlaub in Mandelieu an der französischen Côte d’Azur verbringen. Der Vater meiner Gastmutter war ein Provonçale, wie man ihn im Bilderbuch nicht schöner beschreiben könnte: lächelnd, sonnengegerbt, das Leben besingend. Und er sprach auch noch das Provonçal, eine wunderschön klingende Mischung aus Französisch und Italienisch, gefärbt mit sonnendurchwärmtem melodischem Lokalkolorit. Ich war erst sechzehn, doch sein lautes Ja zum Leben und sein sonniges Gemüt werden mir ewig in Erinnerung bleiben. Papi, wie ihn alle liebevoll nannten, ist schon vor vielen Jahren von dieser Erde gegangen. Er singt wohl noch immer mit der Sonne.

 

Chantal in Brüssel war auch so eine Begegnung. Wir bewohnten beide dasselbe Haus. Sie war ein ärmliches, kleines, nicht altes, aber uralt wirkendes Weiblein, sie hatte kein schönes Berufsleben gehabt, war früh in Rente gegangen und lebte mit ihrem einen Hund, ihren fünf Katzen und mindestens so viel Vögeln in ihrer äußerst bescheidenden, geruchsintensiven Bleibe. Manchmal versuchte sie, den Nachbarn in der Straße irgendwelche Dinge zu verkaufen, um selbst wieder an Tierfutter und Zigaretten zu kommen. Wenn ich das durch mein Dachgeschoßfenster sah, pfiff ich ihr, lief die drei Stockwerke auf der schmalen Holztreppe hinunter und steckte ihr zehn Euro zu. „Ich leih’ dir das nur, Ehrensache.“ Sie nahm es unter Protest immer an. Jeden Tag, wenn ich von der Uni heimkam, erwartete sie mich schon. Am engen Flur, neben dem Mini-Tischchen, das für die Post für die fünf Bewohner des Hauses da stand, plauderten wir. Eines Tages bekam ich von einem lieben Freund wunderschöne Gartenrosen geschenkt – duftende, prachtvolle Rosen in den unterschiedlichsten Farben. Ich war jedoch nicht zu Hause, Chantal nahm diesen Frühsommergruß entgegen. Spontan, wie er war, sagte er zu ihr mit einem Lächeln, dass diese Rosen natürlich nicht alle für mich gedacht waren, teilte den üppigen Strauß und drückte Chantal die eine Hälfte in die Hand. Die andere möge sie bitte für mich einfrischen. Er wusste, dass sie ein ganz besonderer Mensch war, und er spürte, wie sehr auch sie duftende Rosen lieben würde. Als ich diesmal heimkam, war Chantal ganz verändert. Ich habe sie noch nie so gerührt gesehen. Ihre Worte, durch ihr zahnlückiges Gebiss auf ihre allzu komische und liebevolle Weise herausgezischt, mit Tränen in den Augen, werde ich nie vergessen: „Tu sais, jamais dans ma vie, j’ai reçu quelque chose d’aussi beau ...“ (Weißt du, so etwas Schönes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht bekommen ...) Bunte Gartenrosen. Ein paar Jahre später, ich war schon lange zurück in Österreich, habe ich einen ganz persönlichen Blumenboten zu ihr geschickt. Leider lebte Chantal nicht mehr unter dieser – unserer – Adresse. Sie war nicht die Art Mensch, die man anders erreichen könnte, als an ihrer Türe zu klopfen. Ich weiß nicht, was aus ihr wurde.

 

Erst kürzlich ist mir wieder eine bleibende Begegnung geschenkt worden (und das traue ich mich in diesem Fall auch schon nach kurzer Zeit zu sagen). Es war ein Geschäftsessen mit einem Freund und diesem Menschen, dem ich zuvor noch nie begegnet war. Er kam mir bekannt vor, ja, diese erste Begegnung fühlte sich auf sonderbare Weise vertraut an. Es war ein sehr interessanter Austausch, ein erquickliches Gespräch, ein langer gemeinsamer Moment, der mich die Tage darauf zum Nachdenken brachte. „So Gott will, werde ich dieses Projekt heuer umsetzen.“ Sie waren nicht einfach so dahingesagt von diesem Menschen, diese Worte im Februar. Gott wollte nicht, und vielleicht spürte er das auch damals schon tief in seinem Inneren. Doch wie bedeutungsschwer diese Worte waren, wurde mir erst heute bewusst, als ich von seinem Ableben erfuhr. Ewig schade ist es um sein künstlerisches Werken, das nun endgültig zum Stillstand gebracht wurde. Und wieder ist da in mir – einmal mehr in meinem Leben – eine tiefe Dankbarkeit für diese einmalige Gelegenheit, diesem Menschen zu begegnen und etwas von ihm mitzubekommen für meinen Lebensweg.

 

Als ich später in unserem Garten stand und den Nachbarpferden beim Grasen zusah, 

dachte ich mir, der Abendsonne entgegenblickend: „Lo soleo mi fa canta!“

Und gleichzeitig mit einer Träne kam ein Lächeln.

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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