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Gelegenheit macht Diebe

Ich arbeite gerne! Wie gerne arbeite ich. Ich liebe meine Arbeit, meine Arbeit mit der Sprache. Wieso um alles in der Welt muss ich sie immer hinter alles andere stellen? Wieso kommt sie immer zuletzt, zu Uhrzeiten, zu denen andere schon längst vor dem Fernseher lümmeln, sich in der Badewanne räkeln oder ein gutes Buch lesen, vielleicht sogar mit einem Gläschen Irgendwas in der Hand? 

 

... Herr, gib mir die Geduld, es einfach gelassener zu sehen ... 

 

Mit meiner ständigen Gegenwart biete ich anscheinend rundherum und immerdar Gelegenheiten, mir meine Zeit stehlen zu lassen. Zwei Stunden Arbeitszeit untertags, zumindest, bitte liebe Leute, gebt und gönnt mir das! Der gute Vorsatz zum Tag: Heute beginne ich mit meiner Arbeit gleich nach dem Frühstück vom Kleinen. Oje, der schläft heute länger, und bevor ich jetzt das konzentrierte Arbeiten beginne und kurz darauf gleich wieder dabei unterbrochen werde, erledige ich lieber zuerst Haushaltsdinge und mache mich nach der Fahrt in den Kindergarten dran. Gut, eine Stunde später: Wenn ich schon mit dem Fahrrad beim Lebensmittelgeschäft vorbeifahre, kann ich doch gleich ein paar Dinge besorgen. Dann ist das wenigstens erledigt. Rein bei der Haustüre, zugesperrt, ich bin nicht da ... Da höre ich ein Rumpeln im Garten. Ach, der Baggerfahrer hatte sich ja für Mitte der Woche angekündigt, irgendwann einmal, das Erdreich anschütten und anplanieren, mich braucht er eh nicht ... Ich stehe am Fenster, unsere Blicke treffen sich, er winkt mir, er wolle nur noch kurz fragen, wie wir hier die Übergänge auf der Westseite ausgestalten möchten. Wie wir dann zehn Minuten später bei Präsident Trump und seinem Umgang mit den Ausschreitungen bei den aktuellen Protestkundgebungen landen, das fragt mich bitte nicht! Von mir kam der gedankliche Spagat jedenfalls nicht. Natürlich sind das auch Dinge, die mich beschäftigen. Doch es gibt Momente, da passen mir solche Diskussionen nicht rein. Meine Gedanken ziehen mich ganz im Gegenteil permanent in Richtung Arbeitstisch, ich fühle mich schon richtig schief, so zieht und zerrt das Bedürfnis zu arbeiten in und an mir. Doch sag’ mal dem Baggerfahrer knallhart ins Gesicht: „Mach du jetzt deine Arbeit, ich habe meine drinnen!“ Tust du nicht, wetten? Also gut, nicht um acht, sondern um zehn Uhr werfe ich den Computer an. Da klingelt das Telefon. Mein Liebster. Bei ihm hebe ich immer ab. Eine Patientin kommt gerade nicht, können wir vielleicht schnell die Mutter von dem einen Bauchweh-Baby kontaktieren? In einer halben Stunde ginge sich das aus. Gut, die Aufmerksamkeit ist wieder wo anders. Die Mutter freut sich riesig. Hast also deine gute Tat des Tages indirekt gemacht. Auch fein. Halbelf. Wo ist denn die halbe Stunde wieder hin? Der Tischler hat auch noch kurz reingeklingelt, gleichzeitig mit dem anderen Telefonat, den musste ich gleich nach dem Baby zurückrufen und jetzt steht er schon im Wohnzimmer: Nur das kleine Eckelement rasch fertig machen, damit das endlich erledigt ist. Vielen Dank, ja! Natürlich muss ich dankbar sein, er hätte ja auch darauf vergessen, ich wieder hinterherlaufen können, nein, so einer ist das nicht. Anruf, und schon ist er da! „Ich wusste, Eva, du bist eh immer zu Hause.“ Ja, stimmt. Kurze Nachbesprechung der Baggerarbeiten im Garten. Finde ich gut so, ist gelungen – dankeschön noch einmal. Ideen für die Zufahrt vorm Haus? Nein, das wollen wir uns noch gerne überleg ... Doch natürlich präsentiert der gesprächige Baggerfahrer mir seine Vorstellungen. Schaut ja vielleicht noch ein Zusatzgeschäft für ihn raus. Ich versuche ihn zweimal – noch verbal – abzuwürgen, überlege mir, ob ich das Gespräch nicht wieder auf Trump lenken sollte, nehme davon jedoch Abstand, rede mich mit einem Augenzwinkern mit dem knappen Kontostand und dem anstehenden langen Wochenende raus (der erste muss sich erst bessern, das zweite bietet Zeit, seine Gestaltungsideen mit meinem Mann zu besprechen) und verabschiede mich höflich, aber dann doch bestimmt. Blick auf die Uhr: halb zwölf. Oh nein. Bitte, zumindest noch die e-mails in Ruhe ansehen, bevor Mittelalt zur Türe reinspaziert und ruft: „Mama, was gibt’s heute zu essen?!“ e-mails? Essen?! Mist, das habe ich jetzt ganz vergessen. Ich wollte ja die – selbstverständlich selbstgekochte – Bolognese-Spaghettisoße aus dem Tiefkühlschrank holen, damit ich den ganzen Vormittag konzentriert an meinen Text gehen kann. Die Soße ruht immer noch gut im Kalten. Der Hunger in persona hat dafür pünktlich um zwölf allerdings sehr wenig Verständnis. Oje zum zweiten Mal. Einer dieser fürchterlichen Ausnahmetage, sie kommen vier bis fünf Mal im Jahr vor, an denen es dann Buchstabensuppe und Palatschinken gibt. Das supergeniale 10-Minuten-Menü, das komischerweise allen meinen Kindern schmeckt! Ich habe zwar kulinarisch nichts davon (die Suppe mag ich nicht und der Palatschinkenteig reichte wieder einmal gerade so für die drei Hungrigen), doch das ist nicht so schlimm – nach diesem Vormittag ist mir der Appetit ohnedies vergangen.

 

Perspektivenwechsel. Das Glas ist immer entweder halbleer oder halbvoll. Es gibt ja auch die positive Seite zu betrachten: Die Kinder freuen sich über die fertig getischlerte Sitzfensterbank, und wie! Sie unterhalten sich mit lachenden Gesichtern über den Garten, der bald ganz schön sein wird. Dem Baby wird es wohl mit seinem Bauchweh auch gleich mal besser gehen.

 

Nachmittags habe ich Besuchserlaubnis gegeben, schon am Tag davor, als ich noch optimistisch war, zwei bis drei Arbeitsstunden am Vormittag unterzukriegen ... Dem Kleinen und dem Mittleren. Sind beides ganz liebe Freunde, die da kommen. Alle haben es schön. Der Kuchen wird kleiner, die Zufriedenheit größer. Heute ist es so schön sonnig und warm, ohne Wind! „Mama, du hast gesagt, wenn es endlich so ein Wetter gibt, gehen wir das erste Mal ins Schwimmbad. Hast du doch, oder?“ Was, mit allen Kindern? Die haben ja gar keine Badehosen mit. „Macht nichts!“ (von links) „Macht gar nichts!“ (von rechts) – Wir haben eh so viel Zeug, das können wir ihnen borgen. Also drei Stunden im Schwimmbad. Das Buch lasse ich gleich zu Hause, aus Erfahrung lernt man. Besser anstelle dessen doppelt so viel Obst mitnehmen. Das schmeckt immer allen aus unserem Korb – keine Ahnung, macht’s der schöne geflochtene Korb? Oder einfach die Geselligkeit? Egal. Die Kombination Schwimmen und Sonne ist auf alle Fälle gut – dann sind sie wenigstens am Abend so richtig müde und schlafen bald ein. 

 

Zwölf Stunden später, acht Uhr abends. Draußen läuten die Kirchenglocken den Tag aus. Die Kinder sind auf Ruhezustand. Der Computer auch. Wieso das? Habe ich den heute schon einmal eingeschaltet? Ach ja, stimmt, einen Versuch habe ich gemacht. Aber jetzt ran an die Arbeit! Um halb neun fallen mir die Augen zu. Schwarzer Tee hilft, bestimmt. Assam Goldspitzen. Ein gutes heißes Getränk, das weckt die Lebensgeister. Um zehn muss ich dennoch w. o. geben. Es geht einfach nicht mehr. Die Konzentration ist auf null gesunken. Die Motivation ebenso.

 

Morgen gelingt es gewiss besser: Keine Handwerker angesagt, keine Arbeiten ums Haus, die Bolognese steht immer noch zur Verfügung, und die Kinder werden sich sicherlich ganz brav alleine beschäftigen. Ich bin mir ganz sicher, keine Zeitdiebe in Sicht ..

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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