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Am Schopf gepackt

Wann waren wir das letzte Mal an unserem Lieblingssee spazieren? Wann gehen wir endlich wieder auf ein Eis in den Schlosspark? Wieso fallen mir immer mehr Freundinnen ein, die ich gerne bald wieder sehen, mit denen ich auf einen Kaffee gehen möchte? Wann ist endlich Zeit für die erste Wanderung des Jahres? Die Berge rufen förmlich nach mir!

 

Ja, die Liste jener Dinge, die man eigentlich gerne tut und sich dennoch einfach dreimal nie dafür Zeit nimmt, ist meistens lang. Dieses und jenes fällt einem ein, was noch alles getan, erledigt, abgearbeitet werden muss. Egal wie groß oder klein das Haus oder die Wohnung, wie groß oder klein der Garten, wie groß oder klein die berufliche Aufgabe, wie wenige oder viele Kinder man hat, es fällt einem immer noch etwas ein, um dann zu sagen, nein, heute kann ich mir diese Auszeit oder diese besondere Stunde nicht gönnen. 

Manchmal muss uns der Moment am Schopf packen und nicht umgekehrt, er muss uns aus dem Alltagstrott rausfischen und uns sanft, aber bestimmt in Richtung Genuss schieben, damit wir endlich verstehen, dass es gar nicht so schwer ist, sich ein Stündchen Zeit für Schönes zu nehmen. Den engen Zeitplan stecken nämlich wir uns selbst, und wir können uns oder anderen einreden, was wir wollen, es liegt an uns, ob wir Tage unerträglich kurz oder wohltuend lang, vollgepflastert mit Aufgaben oder einfach nur als lockeren Stundenverlauf sehen. Tage fühlen sich besser an, wenn wir Mögliches versuchen, Wichtiges und Unaufschiebbares erledigen und Nicht-mehr-gut-Machbares einfach aufschieben. Summa summarum sind es immer wieder unsere eigenen hohen Ansprüche, die Minuten davongaloppieren, Stunden unmenschlich knapp wirken und Tage zu kurz werden lassen.

 

Der gute Mann an meiner Seite hat mir einmal eine feine Postkarte mit zehn wichtigen Leitsätzen geschenkt. In unserem alten Mietshäuschen hing sie jahrelang am Kühlschrank. (Ich muss sie unbedingt aus einer der wenigen verbleibenden unausgepackten Schachteln ausgraben und wieder aufhängen!) Einen Satz fand ich für mich, meinen Tatendrang und meine Erwartungshaltung besonders richtig und wichtig: Nimm dir jeden Tag nur halb so viel vor, wie du glaubst schaffen zu können. Sich selbst stets die Latte sehr hoch zu legen und immer wieder an genau dieser zu hoch angelegten Das-muss-ich-alles-schaffen-Latte zu scheitern, ist nicht schlau. Es entmutigt uns, lässt uns unzufrieden oder gar traurig am Tagesende sein. Und helfen tut es niemandem.

 

Also, heute war ein Tag voller Überraschungen. Unser geplantes Mega-Gartenarbeitsprogramm fiel einfach aus. Wetterbedingt. Der ergiebige Regen des Vortages und der Nacht hatte unseren Arbeitsuntergrund zu einem herrlich erdigen Gatsch werden lassen. Zuerst ein kleiner Moment der Enttäuschung, wir hatten uns so aufs Fertigwerden gefreut. Doch dann ein Lächeln, ein Entspannen, ein innerliches Danksagen. Was tu ich nun mit der plötzlich gewonnenen Zeit? Ein paar Dinge erledigen, die ich sonst morgen getan hätte. Das ist eine gute Idee. Dadurch wird das Wochenende freier als frei. In Ruhe vor allem an den Tag herangehen. Dann kocht doch glatt noch diese brave große Tochter das Mittagessen für alle – Überraschungsmenü und noch einmal mehr Zeit! Wofür? Heute einmal für mich. Und dann die goldene Krönung: Auch der Nachmittag wartet mit Unvorhergesehenem auf. Gleich zweimal. Beide Söhne werden spontan eingeladen, in die eine und in die andere Richtung. Freibrief für einen allzu seltenen Tochternachmittag! Eine kleine Pflichterfüllung gibt es noch. Eine Stunde Arbeit. Ich frage meine Große, ob sie mich einfach dorthin begleitet und wir uns dann nach dem Termin irgendetwas einfallen lassen. Wonach uns gerade ist. Schnell überredet! Die Arbeitsstunde verfliegt, die Arbeit geht leicht von der Hand. Mit Vorfreude im Herzen lässt es sich beschwingt zu Werke gehen. Und dann: Mama-Tochter-Zeit. Gewonnen. Aus den Zufällen dieses Tages heraus. Außergewöhnlich, schön! Wir entscheiden uns für Shoppen. Die Sommersaison hat gerade begonnen, die Bikinis vom letzten Jahr sind ausgeblichen oder beim Siedeln verschwunden. Unsere Tagesstimmung und die pure Freude am Leben bilden die besten Rahmenbedingungen für entspanntes Stöbern in den Geschäften. Es ist schön, oft und viel für die Kinder da zu sein, sie zu versorgen, ihnen zu helfen, sie zu unterhalten, sie um sich zu haben, zu spüren, zu sehen, mit ihnen zu lachen und zu scherzen. Es ist ab und zu noch schöner, die Kinder gut aufgehoben zu wissen und sich selbst zu unterhalten – ohne auf die Uhr zu blicken, ohne die Aufmerksamkeit zu teilen, ohne auf irgendetwas oder irgendjemanden Rücksicht zu nehmen. Goldene Momente, ewig lang wirkende Auszeitstunden mit ungeheurem Erholungseffekt.

 

Übrigens: Wir waren absolut erfolgreich, haben fette Beute gemacht, sind glücklich mit einem Eisbecher auf der Parkbank gelandet und haben uns die frühabendliche Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Und das Beste an der Geschichte: Wir sind niemandem abgegangen! Gut, auch das einmal zu verstehen: Wir sind nicht unersetzbar. Unsere Anwesenheit wird nicht einmal immer erwartet. Wir sind auch nicht für alles verantwortlich. Für eines allerdings sehr wohl: für die Sorge um unser eigenes Wohlbefinden. Und diese Aufgabe ist wohl eine der wenigen, die wir konsequent und bedenkenlos auf später verschieben. 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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