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Auf den Schwingen der Schwäne

Diese Woche bekam ich von meiner mir ebenbürtigen zweiten Elternhälfte (ich weigere mich, meinen Mann als meine bessere Hälfte zu bezeichnen, denn was wäre dann ich?!? meine schlechtere Hälfte?!? nein danke, wir sind beide ganz, keiner besser, keiner schlechter) einen Kurzurlaub genehmigt und geschenkt. Einen Konzertabend durch ein paar Stunden dazugebuchte Freizeit auszudehnen und zu versüßen war eine wunderbare Idee seinerseits. Da ich mitunter auch seine Sekretärin bin, gab er mir sogar ein sattes Trinkgeld für diesen Ausflug. Ein wahrlich großzügiger Chef!

 

Konzert also hinterm Berg. In meiner Kindheitsheimat Kärnten, an einem schönen See. Ich wäre keine Im-Herzen-immer-noch-halb-Kärntnerin, wenn ich diese seltene Gelegenheit eines warmen Hochsommer-solo-Abends nicht für eine Schwimmrunde im herrlichen See genutzt hätte! Das Gewusel und Getümmel im Strandbad hatte sich schon etwas beruhigt, so manche Sonnenschirme wurden eingeklappt, Badetücher zusammengerollt, und die Belagerung der Wiese lichtete sich. Eine leise Einladung für Spätankömmlinge wie mich zu einer angenehmen Rast. Wie solch ein Ausflug ins sommerlich frische Naturwasser munter macht und das Herz lachen lässt! Lange lange trug es mich hinaus, immer weiter mit den das Abendlicht brechenden, kleinen Wellen, immer wieder konnte ich noch nicht umdrehen, musste ich weiter schwimmen, bis ich endlich, von dieser Wohltat und Kühle gesättigt, umkehrte. Ein paar vorlaute Schwäne – wunderschöne Gestalten, formvollendet und elegant – wagten sich mit mir an Land, um eben von diesen frei gewordenen Wiesenflächen zu schnabulieren (herrliches Wort – erst jetzt beim Schreiben sehe ich seine Herkunft!). Ich genoss ihre Gesellschaft, studierte ihre Körper, beim Fressen, beim Putzen ihres Gefieders, beim Sich-Plustern-und-Strecken, in aller Ruhe, bis ein übermotivierter Bademeister daherkam (der eigentlich seinen Dienst schon beendet hatte), um diese schönen Gestalten mit „gschgschgschttt!“ und Händeklatschen zu vertreiben. Schade, er hätte ja auch fragen können, ob sie wen störten. Doch offensichtlich war das Knabbern an den Grashalmen des öffentlichen Strandbades bereits eine Übertretung der Allgemeinen Badeordnung und wurde mit Verweis aus dem Bade geahndet. Nun gut, dürfen die Schwäne nicht mehr bleiben, so will ich auch nicht mehr. Schöner See, ich komme wieder. Zeit verblieb noch genug für ein Glas Wein im Gastgarten des altehrwürdigen Lindenhofs. Ein äußerst dienstbeflissener Kellner wollte sofort eine genaue Definition meines Aufenthaltes (Essen: ja? nein? Kommt noch wer? Wirklich? Ohne Begleitung? Ja, wenn aber dann wer käme, der essen wollte, dann müsste ich schon ein wenig Platz machen (für die lukrativeren Gäste – das sagte er nicht, dachte es aber wohl) ... ja selbstverständlich.) Also Weingenuss bei gleichzeitiger Beobachtung des regen Treibens, Belauschung der bunten Vielfalt regionaler Dialekte und Sprachcouleurs, in einem Gastgarten, in dem das gesellschaftliche und kulinarische Vergnügen spürbar wichtiger war als irgendwelche Ängstlichkeiten und Befürchtungen. Feine Stimmung, feine Mischung – das vermisste ich schon seit langem. Kärntner Sommerabende haben einfach so etwas Unbeschwertes, Unbekümmertes, das passte mir (und vielen anderen rundherum offensichtlich auch) als willkommene Ablenkung wunderbar in diese Zeit.

 

Leichtfüßig und beschwingt ging ich dann in Richtung Kirche. Streichmusik stand am Programm, von Joseph Haydn über Giuseppe Verdi hin zu Ludwig van Beethoven. An diesem Abend konnte ich so richtig abtauchen in die Welt der Komponisten, in die Welt der ausführenden Musiker ebenso, und alle im Raum, so glaube ich sagen zu können, erfasste eine tiefe Dankbarkeit, dass dieses Konzertieren für Menschen vor Ort, zwar nicht auf Tuchfühlung, aber doch in spürbar gemeinsamer Anwesenheit, endlich wieder möglich war. Eine ältere, muffig-grantige Lady, in locker gestrickten Wollschal gehüllt, mit fast bis zur Nasenspitze heruntergerutschter Brille, hochgestecktem grau-krausem Haar und Gehstock in der rechten Hand, eine gelungene Karikatur ihrer selbst, holte mich zwar für kurze Zeit aus meiner romantischen Stimmung mit ihrer völlig unbegründeten, aber für sie doch tiefgehenden Verärgerung über die unverständliche Art der Sitzordnung und Platzreservierung, regelrecht gottlos inmitten des schönen Gotteshauses, doch als sie das Feld räumte, um sich in einem anderen Winkel der Kirche niederzulassen, kehrte rund um mich und so auch in mir wieder Ruhe ein. Das von Beethoven komponierte, vom Minguet Quartett für diesen Konzertabend ausgewählte Stück war mir bislang nicht bekannt. Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll, Opus 131, komponiert im Jahr 1826. Ein wunderschönes Musikwerk, das in einem der späteren Sätze in einzigartiger Genialität, als immer wiederkehrendes Motiv, einem der vier Streicher nach dem anderen sozusagen das Wort erteilt, Violine Eins beginnt, Violine Zwei übernimmt, im darauffolgenden die Bratsche, bis als Letztes in der Reihe das Cello mit zwei, dann drei Tönen das Wort, den Klang, den Ton ergreifen darf. Und dann beginnt eben das letztgereihte Violoncello ein kraftvolles, gar wildes Thema, in das alle anderen einstimmen. Was für eine Idee, diese Gemeinsamkeit, das Ergänzende und Vervollkommnende eines Streichquartetts zum Ausdruck zu bringen! Wie mich am frühen Abend das kühle Nass des schönen Sees umhüllte und trug, so war ich nun völlig abgetaucht in das Wilde, Turbulente, dann wieder Ruhige, Tragende der beethovenschen Komposition. Immer wieder komme ich zu ihm zurück. Keinen anderen Komponisten habe ich als Jugendliche selbst so gerne am Klavier gespielt wie Beethoven. Keinem anderen Komponisten höre ich so gerne zu wie ihm, in seinen Sonaten, Streichquartetten wie in seinen Symphonien. Souverän war auch, wie der erste Geiger seine gerissene Saite in der Sakristei neu aufzog, lächelnd zurückkam in das so jäh unterbrochene Spiel und sich das Kleeblatt nach kurzer Beratung auf eine Stelle einigte, wo es zu viert sein Musizieren wieder aufnahm. Für diese Sondereinlage wurde ihm vom Publikum schlussendlich auch mit einem lautstarken Sonderapplaus gedankt.

 

Von den Nachklängen der Musik hinaus aus der Kirche in den immer noch lauen Sommerabend getragen, war mir so gar nicht nach Gesellschaft oder neuerlicher Gastgartenrunde, ich suchte die Stille des Wassers. Noch einmal zurückgekehrt an den gleichen Ort, an dem ich am Nachmittag noch Menschenstimmen und Wasserfreuden wahrnahm, musste ich nun über die Ironie der Natur schmunzeln: Eine ganze Schwanenkompanie hatte zu dieser Stunde die Wiese okkupiert, hatte sich dort ausgebreitet und genoss Ungestörtheit wie Grasknabbern gleichsam. Und mir schwant, dass sie innerlich dem Bademeister eins pfiffen! In Gedanken ließ ich mich auf den Schwingen der Streichertöne gleichsam auf den Schwingen der Schwäne über die Berge nach Hause tragen. Tatsächlich war es, etwas unromantischer, mein kleines Auto, das mich dorthin brachte, doch in meinem Herzen musizierte es weiter, bis ich müde und zufrieden in meinem Bett einschlief.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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