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Liebes Christkind!

Letztes Jahr habe ich dir einen sehr kurzen Brief geschrieben. Es war irgendwann abends, ich war hundemüde, nach vielen Quadratmetern verlegten Holzbodens, monotonem Fremdfedernschleifen für die Breitdielen, stundenlangem Steinbodenschrubben, Daumenhalten für Handwerkerzuverlässigkeit und Kartonpacken, sodass ich dir Anfang Dezember nur einen Satz per Christkindpost geschickt habe:

Bitte lass es uns schaffen, noch in diesem Jahr ins neue Haus zu ziehen!

Du hast mir und meiner ganzen Familie diesen Wunsch erfüllt, und ich glaube auch zu wissen, warum dir das so leicht gefallen ist: weil du gesehen hast, wie viele liebenswerte Menschen uns dabei unterstützt haben, fertig zu werden und dies alles zu schaffen. Die Handwerker haben größten Einsatz und Zuverlässigkeit gezeigt, die Omas haben gekocht und auf die Kinder geschaut, die Freundinnen haben uns geholfen, trotz intensiver Bauendphase etwas Adventzauber zu spüren, mit Keksen und Adventkranz aus den verschiedensten Küchen und Händen, Freunde haben uns packen und schleppen geholfen, und wir sind schlussendlich zur Wintersonnenwende in unserem wunderschönen neuen Zuhause gelandet. Am Heiligen Abend war das Erdgeschoß sogar bereits Siedlungskartons-frei und trotz russischer Luster an den Wänden, noch etwas Bauholz in den Raumecken und ein paar Möbelstücken, die fehlten, hätte es keinen heimeligeren Platz geben können als diesen unsrigen. Müde und beglückt haben wir alle (mit Ausnahme des Katers, der diesen Umzug an einigen tiefdepressiven Tagen verdauen musste) dieses letzte Weihnachten ein bisschen wie im Traum erlebt. Tag für Tag durften wir aus dem Nachtschlaf aufwachen und diesen Traum von neuem ganz real spüren und erleben. Wir waren dauerhaft auf Urlaub in unserem Traumhaus, nur dass wir wussten, dass wir hier nicht nach zwei Wochen wieder die Koffer packen und zurück aus dem Feriendomizil heimfahren mussten.

 

Dieses Jahr, liebes Christkind, ist mein Wunschbrief an dich länger – um einiges länger. Die letzten Monate waren zwar nicht mehr durch Baukoordination, Baustellenaufräumen, Bauarbeiterkaffeekochen und -kuchenbacken vollgepflastert, doch sie waren alles andere als unbeschwert. Kaum hatten wir die russischen Luster gegen echte schöne Wandlampen ausgetauscht, ein paar liebe Freunde als erste Gäste in unser neues Zuhause eingeladen und unser neues Heim so richtig genießen begonnen, kam eine ziemliche Keule im Spätwinter daher, mit der wir nicht gerechnet hatten. Was dies alles mit sich brachte, brauche ich hier ja nicht zu erzählen, wir wissen es alle nur zu gut.

Und deswegen also meine etwas längere Wunschliste an dich, liebes Christkind:

 

Ich wünsche mir, dass ich im kommenden Jahr wieder bedenkenlos und fröhlich meine Mama und meinen Papa umarmen kann.

Ich wünsche mir, dass meine Kinder all ihre Freunde sehen dürfen, zu zweit, zu dritt oder auch zu sechst oder zehnt im Park und am Fußballplatz herumtoben können und sich keiner der umstehenden Erwachsenen dabei etwas denken muss.

Ich wünsche mir, dass ich wieder mehr lächelnde Gesichter auf den Straßen sehen kann und nicht nur die Aufschrift auf einer Maske „Ich lächle gerade“.

Ich wünsche mir, dass ich mir keine komischen Gedanken mache bei einem vorbeifahrenden Auto mit anderem Kennzeichen als „TA“, weil es einfach wieder normal sein wird, viele Auswärtige bei uns willkommen zu heißen.

Ich wünsche mir, dass ich all jene Gäste in unserem neuen Zuhause begrüßen darf, die wir bislang noch nicht einladen konnten, weil sie nicht kommen hätten dürfen oder – zwischenzeitlich – zwar die Möglichkeit gehabt hätten, aber aus Vorsichtsgründen es doch vorzogen, nicht zu verreisen. Wir haben so viele liebe Freunde, die weit weg von uns wohnen!

Ich wünsche mir, in den Nachrichten wieder einen anderen Schwerpunkt zu hören. Es müssen ja nicht unbedingt Trump und Biden sein, wenn auch sie unter den herbstlichen Umständen sogar eine willkommene Abwechslung waren. Einfach etwas Anderes, Erfreuliches, Erstaunliches, Interessantes, ohne Bezug zu Krankheit und Einschränkung.

Ich wünsche mir, dass ich eines Tages das Gefühl habe, aus diesem einen Traum zu erwachen und wieder in einer Realität ähnlich jener von vor einem Jahr zu landen, in der wir zwar alle etwas müde, aber überglücklich und frei im Herzen uns bei jedem Klingeln an der Türe freuten und fragten, wer es denn nun sein könnte, der uns einen Besuch abstattet.

 

Liebes Christkind, ich weiß, dass dies eine ziemlich komplizierte Wunschliste ist. Ich weiß, dass solche Wünsche in diesem Jahr ganz ganz oft an dich herangetragen werden und du dir denkst, uff, da hatte ich es die letzten Jahre aber viel leichter mit Büchern, CDs, iPads, Skiern, Wollhauben, Goldkettchen, Parfums, Handtaschen, Daunenjacken, Lego-Modellen und Co. Es stimmt, wir kennen das ja auch selbst: Geschenke zu kaufen ist auch für uns Erdenmenschen ein Leichtes, sogar in Zeiten von geschlossenen Geschäften, die moderne Welt hat sich hier ja alle möglichen Wege ausgedacht, um solche materiellen Dinge stets heranschaffen zu können. Doch den größten Wunsch unseres Jüngsten zu seinem siebten Geburtstag konnten wir ihm zum Beispiel nicht erfüllen: Er hätte so gerne mit seinen Freunden gefeiert. Da standen wir also, hilflos, und konnten seine Tränen nur sehr schwer trocknen. Sein bester Freund hat uns mit einer Fußballstunde am großen Spielplatz, sozusagen auf neutralem Boden bei viel Frischluft, unterstützt von ganz oben durch schönes End-Novemberwetter, gerettet. Es war ein Trost, ja. Traurige Kinderaugen sehe ich dieser Tage trotzdem oft ...

Doch du, liebes Christkind, bist doch um einiges geschickter und besser organisiert als wir! Könnte es vielleicht dir gelingen?

 

Weißt du was, ich wünsche mir zu diesem ganz großen Wunsch noch etwas Kleines dazu, das vielleicht ein bisschen hilft:

Ich wünsche mir eine wunderschöne Kerze, eine richtig dicke, große Kerze, die fest und unerschütterlich steht auf unserem schönen Walnusstisch. Ich möchte diese Kerze dann jeden Tag, sobald draußen die blaue in die schwarze Stunde übergegangen ist, anzünden und in ihre Flamme alle meine Wünsche neuerlich hineinstecken, damit sie sie ganz weit hinaufträgt in deine Sphären. Wenn da oben alle guten Seelen zusammenhelfen, also wirklich alle, die, die ich nach gemeinsamen Zeiten auf Erden nun da oben weiß und auch alle anderen, die ich im irdischen Leben gar nicht kennenlernen durfte, dann müsste es doch wohl mit vereinten Kräften möglich sein, diese meine Wünsche zu erfüllen?

 

Eine Kerze also. Bitte. Mit ihrem Licht schicke ich all meine Hoffnung zu euch nach oben. Danke, liebes Christkind.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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