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Und immer wieder: danke

„Mama ist das erste Wort“, sagte mein Jüngster diese Woche beim Hausaufgabenmachen, und er meinte es weder entwicklungspsychologisch noch philosophisch, er bezog es einfach nur auf die Abfolge der zu schreibenden Wörter im Rahmen der Deutsch-Hausaufgabe. Er sagte es und schrieb gelassen weiter an seinen mit viel Hingabe gezeichneten Erstklasslerbuchstaben, doch bei mir begannen sich die Zahnräder im Oberstübchen zu drehen. Mama ist nicht nur das erste Wort, das er an diesem Tag auf diese Seite in die erste Zeile schrieb, Mama ist auch das erste Wort, das er überhaupt schreiben konnte. Und Mama ist auch das erste Wort, das er sagen konnte. Damals, way back ... Mama war das erste vollständig gesprochene Wort aller meiner Kinder, und Mama ist glaube ich auch das erste Wort vieler Kinder rund um den Erdball, die in den verschiedensten Sprachen zu sprechen lernen. Bei manchen Kindern des deutschen Sprachraums gibt es eine geringfügige Abweichung in Richtung des harten „P“, sie sind die Ausreißer, die einige wenige Väter unglaublich und außergewöhnlich stolz machen. Das Lustige an der Sache ist allerdings, dass sie dieses erste Wort Papa dann auch zu ihrer Mama sagen, weil sie eben noch nicht beide Varianten über die Lippen bringen. Mama also fast immer zuerst. Ja warum wohl? Weil es sich so leicht sagt? Ich glaube, man müsste diesen Gedanken von der anderen Seite her andenken. Vielleicht wurde die Mutter in vielen Sprachen dieser Erde mit einem einfachen Wort bedacht, damit eben all diese Jungspunde den wichtigsten Menschen ihrer kleinen Welt ganz schnell verbal benennen, rufen, auffordern können. Mama also.

 

Meine Mama. Meine Mama und ich verstehen uns seit vier Jahrzehnten prinzipiell gut. Es gab und gibt immer noch Höhen und Tiefen, wie das halt so ist in lang andauernden, sehr engen Beziehungen. Als Kind war ich brav, eher auf der Lausbuben- als auf der Puppenküchen-Laufbahn, aber generell brav. Als Jugendliche war ich teilweise ein Scheusal, emotional und familienbeziehungstechnisch gesehen, nebenher in meinen Berufen als Schülerin, Pferdepflegerin und professionelle Babysitterin in dieser Zeit jedoch stets zuverlässig und gut, was das Scheusaldasein etwas relativierte. Zumindest auf der Plus- und Minuspunkte-Tabelle machte es einiges wieder gut und sorgte für ein ausgewogenes Verhältnis. (Oft heißt es ja, man bekommt später alles von den eigenen Kindern zurück. Liebe Mama, da muss ich dich leider enttäuschen. In Sachen Scheusalhaftigkeit übt meine Große nun leider definitiv keine generationenübergreifende Vergeltung, die dir knappe drei Jahrzehnte später ein wohlverdientes ätsch, bätsch auf die Lippen zaubern könnte.) Dass jugendliche Damen sehr häufig besser mit ihren Vätern als mit ihren Müttern auskommen, musste meine Mama auch zur Genüge spüren. Sie trug es mit viel Geduld und Fassung. Glücklicherweise gibt es da noch einen Bruder, bei dem es sich genau umgekehrt verhielt. Meine Mama hatte also zumindest jemanden an ihrer Seite, der in Richtung des Vaters genauso trotzig war wie ich ihr gegenüber.

 

In meinem Au-pair-Jahr in Frankreich begann ich das erste Mal so richtig zu spüren, was mir fehlt, wenn meine Mama nicht bei mir ist. Was da wirklich abgeht, wonach sich das Herz in stillen, unabgelenkten Momenten so richtig sehnt. Zu dieser Zeit wurden noch mehr Briefe auf Papier verschickt als e-mails versendet. Ich war eine unglaublich fleißige Briefschreiberin und bekam auch von etlichen Adressen aus der Heimat regelmäßig Post. Kam ein Umschlag mit Mamas Schrift darauf, schlug mein Herz höher. Ihre Handschrift war sicherlich eine der weniger leicht lesbaren (laut ihrer eigenen Aussage schreibt sie wie „der Hahn am Mist“), doch das minderte die Freude über Post von Mama niemals. Im Gegenteil, so konnte ich ihre Briefe nicht verschlingen, sondern musste auch immer ein bisschen entziffern – also gewonnene Mama-Zeit auf Distanz.

 

Auch die Studienjahre waren ein beziehungstechnisches Auf und Ab zwischen ihr und mir. Als Studentin hat man, wenn auch nicht mehr Teenager, die Rebellenjahren wohl noch nicht so ganz hinter sich gelassen, ich zumindest nicht. Mal ging es besser, mal nicht so gut. Besser, wenn ich viel in meiner Studienstadt war, und das war ich auch. Aber wie groß wurde dann einfach immer wieder die Sehnsucht, wenn der letzte Besuch zuhause zu lange her war!

 

Ja, und eines Tages kam mein erstes Kind zu mir, und mit diesem Tag war alles anders. Die erste Person, die ich bei mir haben wollte, war meine Mama. Die erste, der ich gern meine Kleine gab, Mama. Wenn ich mal traurig war, rief ich Mama an. Wenn ich nicht weiterwusste, Mama. Einfach immer zuerst Mama. Als ob das eigene Mutterwerden mich daran erinnerte, wie inniglich ich mit meiner eigenen Mama verbunden bin und immer war, von der ersten Sekunde der Entstehung meines eigenen neuen Lebens an, und wie tief dankbar ich dafür bin, dass ich aus ihr heraus sein darf.

 

So wird es mir heute fast unerträglich schwer ums Herz, wenn es dieser meiner Mama nicht gut geht. Wenn ich fachlich hilflos bin und außer (für mich allzu mager wirkenden) tröstenden Worten nichts dazu beitragen kann, dass es ihr besser geht. Wenn ich ihr einfach nicht helfen kann. Dann ist sie auch noch weit weg. Umarmen ging ja schon monatelang nicht, aber jetzt auch noch weit weg, ich sehe sie nicht, sie hört mich nicht. Es bleibt das geschriebene Wort. Oh wie gut, dass es die geschriebene Sprache gibt, dass ich schreiben kann. Ihr schreiben kann!

 

Ja, und dieses Wochenende, aus gegebenem Anlass, vorausschauend auf einen ganz besonderen Dezembertag, möchte ich danke sagen, liebe Mama: Danke, dass du vor gut vier Jahrzehnten ja zu mir gesagt hast, dass ich durch dich werden durfte. Dass du mich jahrelang gehegt und gepflegt hast, mir beim Großwerden zugesehen hast, mich unterstützt hast, wo auch immer ich Unterstützung brauchte, dass du mich ertragen hast an all meinen zickigen und unleidlichen Tagen, dass du mich nie aus deinem Haus geworfen hast, dass ich immer bei dir willkommen war, dass ich mich immer aufgehoben fühlen konnte bei dir, dass du mich seit langem als Oma meiner Kinder begleitest, dass du die beste Oma aller Zeiten bist, dass dich meine Kinder so lieben dürfen, wie man eben eine liebevolle Oma lieben kann, auch wenn die zwei jüngeren Racker manchmal für deine Oma-Nerven nicht mehr so ganz die richtige Beanspruchung sind ...

 

Danke, dass wir drei Generationen so gut zusammenhalten. Danke, dass du nur für uns lächelst, auch wenn dir nicht zum Lächeln zumute ist.

 

Danke für deine Geduld, deine Hilfe, dein Dasein. Deine immerwährende Liebe.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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