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... Und immer wieder aufstehen.

Wer hat es schon sein ganzes Leben lang hindurch immer leicht? Und wenn es so ist, wie erfüllt, wie zufrieden ist dieser Mensch dann? Sind es nicht gerade die Schwierigkeiten, die Hürden, die es zu nehmen gilt, die einen dann, wenn erst einmal überwunden, wenn geschafft, stolz machen und Zuversicht verleihen, auf neuen, unbekannten, nicht erprobten Pfaden fortzusetzen?

 

... Ein ums andre Mal an Grenzen stoßen.

 

Was tut man Kindern Gutes, wenn man ihnen alles ermöglicht, alles erlaubt, alles zugesteht? Woran reiben sie sich? Wodurch spüren sie sich? Verlieren sie sich nicht viel eher in der Weite der Grenzenlosigkeit?

 

... Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitergehen.

 

Ich kann diesem Spruch etwas abgewinnen. Es gelingt zwar nicht immer gleich so mir nichts, dir nichts, die Krone zu richten, den Staub abzuklopfen, manchmal brauchen die blauen Flecken etwas länger, um abzuklingen. Doch genau diese Fähigkeit des „Stehaufmännchens“ oder natürlich auch des „Stehaufweibchens“ zeichnet die aus, die gestärkt aus einem Tief wieder nach oben kommen. Die sich weitermachen trauen. Die den Mut haben, was Altes zu lassen und was Neues anzugehen. Die nicht mit der verrutschten Krone über den Augen jammern und greinen, sondern sich diese eben zurechtrücken und weitergehen.

 

Ohne Unten kein Oben, ohne Nacht kein Tag, ohne Leid kein Glück, ohne Verlust kein Gewinn. Nur Monotonie, erdrückendes Ewiggleichsein.

 

Ich habe ja wirklich eine durchwegs glückliche und unbeschwerte Kindheit erleben dürfen. Es mangelte an nichts. Ich bekam viel Zeit und Aufmerksamkeit von meinen Eltern, ich wuchs mit einem lieben Bruder und einer heimatgebenden Großfamilie mit Großeltern, Tanten und Onkels, Cousins und Cousinen auf. Ich durfte in die Schule gehen, in die ich gehen wollte, ich durfte das Instrument meiner Wahl spielen, ich durfte reiten gehen, meine Eltern erlaubten mir auch, recht jung schon zu jobben, um mir mein teures vierhufiges Hobby bezahlen zu können. Ich durfte reisen, Vespa fahren, das Auto meines Vaters ausleihen, ich hatte wirklich viele Freiheiten, und vor allem spürte ich das Vertrauen meiner Eltern, dass die Dinge, die sie mir erlaubten, auch gut waren.

 

Doch auch in dieser unbeschwerten Kindheit und Jugend gab es herbe Rückschläge, wo dann wirklich nicht nur die Krone, sondern gleich die ganze Eva am Boden lag:

Plötzlich stand die Box vom Pflegepferd leer, ohne Vorwarnung, weil sich die Besitzer die teure Stallmiete nicht mehr leisten konnten.

Ein Weihnachten musste ich ohne meinen Bruder verbringen, weil er auf der Intensivstation lag.

Meine Klavieroberstufenprüfung habe ich versemmelt, weil ich mit 40° C Fieber antrat und mich nicht sagen traute, dass ich krank war. Chopin, Beethoven, Bach und Gershwin schaffte ich in diesem Zustand leider nicht so locker vom Klavierhocker, ob mit oder ohne Notenblätter, verschwommen waren Tasten wie Vorzeichen.

Früh und oft stand ich am Grab eines geliebten Familienmitgliedes, das ich noch so gern länger an meiner Seite gehabt hätte.

Mein Studienzeitpartner servierte mich nach einer langen gemeinsamen Zeit per Telefon von Wien nach Brüssel ab, es war ihm während meiner Abwesenheit was Interessanteres untergekommen.

 

Aber das Spannende an alldem ist, dass ich in meinem heutigen Leben ganz selten an diese Momente, an das Gefühl des Am-Boden-zerstört-Seins zurückdenke, sondern viel mehr an die neuen Wege, die sich dadurch aufgetan haben. Wäre das eine Düstere nicht passiert, hätte sich diese Weiche ins neue Helle nicht aufgetan.

 

Wäre der Schimmelwallach damals nicht plötzlich weg gewesen, hätte ich nicht die Freiheit gehabt, als zwei Wochen später eine liebe, danach langjährige Freundin ganz dringend eine Betreuerin für ihr Therapiepferd Sultan suchte, von welchen beiden ich unendlich viel lernen durfte: fachlich und menschlich. Ich zehre heute noch von dieser großen Toleranz und Offenheit, die ich in der Arbeit mit den schwerstbehinderten Schützlingen in unseren gemeinsamen Therapiestunden lernte.

Hätte mein Bruder nicht so einen schweren Unfall gehabt, ich wäre vielleicht später selbst auf Vespa und Motorrad viel sorgloser unterwegs gewesen. Es war ein warnender Schutzengelfingerzeig, bevor ich selbst mich auf diverse motorisierte Zweiräder schwang. Und außerdem hat es mir eines gezeigt: ein Leben ohne meinen Bruder wäre ein abscheulich einsames gewesen.

Hätte ich die Oberstufenprüfung damals nicht in den Sand gesetzt, ich hätte mein ganzes Leben nie die Erfahrung gemacht, wie es ist, einmal nicht zu bestehen. Es blieb tatsächlich die einzige nicht bestandene Prüfung in meiner ganzen Schülerinnen- und Studentinnenkarriere. Dieses Gefühl erlebt zu haben half mir zu verstehen, dass auch solch eine Niederlage zu ertragen ist, dass man damit umgehen muss, dass man sich eingestehen muss, nicht immer alles schaffen zu können. Es hat mich Bescheidenheit und viel größere Dankbarkeit für Erfolge gelehrt.

Die vielen Abschiede machten mir schon sehr früh klar, dass man nicht immer von sich aus an allem einfach nur festzuhalten braucht und es dann für immer bleibt. Dass im Leben auch andere entscheiden, anderes mitspielt, ein anderer die Fäden zieht, ich als kleines Mädchen oder junge Frau vieles einfach nicht beeinflussen, sondern nur akzeptieren kann. Dass es nur hilft, das Schöne in Erinnerung zu behalten, weil einen das stärkt, und mit der daraus gewonnenen Kraft in die Zukunft zu blicken, um für Neues offen zu sein.

 

Lehrmeister waren sie alle, diese Begebenheiten, diese Wegbegleiter. Manche bessere, manche weniger gute, aber alle sinn- und wertvoll. Vielleicht kann ich heute auch gut trösten, weil ich selbst weiß, wie es sich anfühlt, eine schlechte Note geschrieben, eine Prüfung nicht bestanden, einen Freund verloren, eine Gelegenheit verpasst zu haben.

 

Es fühlt sich alles, was bisher geschah, ganz an durch das Nebeneinander von Traurigem und Erfreulichem, von Frustierendem und Erhebendem, von Verpatztem und Gelungenem.

 

Rilke ist mir heute eingefallen. War’s der Regen? Waren es diese niedergeschriebenen Gedanken? Waren es die Erinnerungen an jene Zeit, in der ich eine kleine Gedichtesammlung von einem lieben Freund geschenkt bekam?

Ich will diese Zeilen mit euch teilen, sie sind mit mir heute stimmig:

 

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge

und keine Heimat haben in der Zeit.

Und das sind Wünsche: leise Dialoge

täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

 

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern

die einsamste von allen Stunden steigt,

die, anders lächelnd als die andern Schwestern,

dem Ewigen entgegenschweigt.

 

Rainer Maria Rilke (1897)

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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Kommentare: 1
  • #1

    Alfred Slowak (Montag, 08 Februar 2021 05:25)

    ...genau so empfinde ich auch! So ist das Leben. Leben, einatmen- ausatmen, Zukunft,Gegenwart,Vergangenheit - Ewigkeit!

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