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Plan B

Sonnenverlauf: Erstes Aufblinzeln im Osten um 7.39 Uhr, Verabschieden hinter dem Bergrücken im Westen um 16.46 Uhr. Lange Tage also bereits im Februar, herrlich viel Zeit für mich, herrlich viel Zeit für uns!

Es hätte eine ruhige Woche werden sollen. So muss ich das einmal anfangen. Ja, eine ruhige Semesterferienwoche. So einfach einmal nichts tun müssen außer stets am Vorabend dem Wetterbericht lauschen, damit wir wissen, wann wir gut und gerne Ski fahren gehen und wann wir lieber den Ofen einheizen, Karten spielen und Krapfen essen.

 

Zuerst einmal mussten wir mit viel guter Schokolade und ein paar Euros darüber hinwegtrösten, dass es kein Zeugnis für den Erstklassler am Zeugnistag gab. Dass es eigentlich eine Schulnachricht sei und sie gar nicht so viel Bedeutung hätte wie das richtige Jahreszeugnis, wie es ihm wirklich liebevoll der große Bruder erklärte, das half dem Siebenjährigen reichlich wenig. Hatte er doch wirklich schon seit Windelzeiten mitbekommen, wie Schwester und Bruder immer an dem besagten Tag mit einem Zettel in der Hand heimkamen, um von zufrieden lächelnden Eltern, Omas und Opas reichlich Lob einzukassieren. Na ja, im Trösten sind wir gut, über die letzten Monate sind wir da sogar spontane Sprachakrobaten geworden, denn die Situationen, in denen es Kinder zu trösten galt, gab es seit März des letzten Jahres eindeutig mehr als gewohnt (Ostern ohne Taufpaten, stornierte Geburtstagsfeste, äußerst reduzierte Verwandtenbesuche, Weihnachten allein zu Haus, Silvester auch zu fünft, keine Skirennen, immer wieder einsame Freundetreffpausen, weil hier oder da Quarantäne verordnet war, und einiges mehr).

 

Mit dem Ausschlafen klappte es an den meisten Tagen auch nicht. Das Skitraining war die halben Ferien recht früh angesetzt, und war es nicht das Skitraining, dann war es die feste Überzeugung unseres Mittleren, dass man auch ohne Trainer ganz einfach früh auf der Piste sein muss. Er zieht seine Schwünge sowieso schon alleine in den Schnee, also alleine oder mit Freunden, aber ein Frühstück davor und Shuttledienst bis zum Bus sind dann eben doch gefragt.

Das Schöne an den Winternachmittagen ist – und das gebe ich jetzt einmal ganz unverblümt zu –, dass sich die Kinder nicht nur auf der Piste wunderbar austoben können. Denen reicht ein warmes Gewand und ein paar Kubikmeter Schnee plus Schaufel oder gleitfähigem Untersatz, die Ideen liefern sie selbst. Wie bin ich froh, meine Kinder in Schnee- und Kaltzeiten nicht mehr ständig bespaßen zu müssen. Ein großes Dankeschön übrigens an jene Leihkinder (inklusive deren Mütter), die wir von Zeit zu Zeit ausborgen dürfen. Es gibt nichts Besseres als einen gleichgesinnten Spielfreund. Derartige Leihkinder gehen einher mit entspanntem Durchatmen mütterlicherseits.

 

Dann bemerkten wir, dass für unsere Älteste ein Tapetenwechsel dringend von Nöten war, die allgemeine Gemütslage ließ uns Eltern das sehr klar erkennen. Also kurzfristig organisieren. Zuerst klopft man mal ab, wie die Urlaubsdestination (eine ganz liebe Familie, deren zwei Töchter mit der Unsrigen schwesterlich verbündet sind) es so mit Sozialkontakten in der letzten Zeit hielt. Eine im Grunde wirklich äußerst intime Frage, die man heutzutage ob der Notlage eines Kindes ganz unverblümt zu stellen wagt: „Wen frequentiert ihr denn so?“ Ja, ich weiß, ihr braucht gar nichts mehr zu sagen ... – Doch wenn man auf Verständnis des Gegenübers stößt, kriecht einem dieses Gefühl des Unangenehmen nicht ganz so schlimm unter die Haut. Den Hintransport konnten wir mit einer wunderbaren Mitfahrgelegenheit gut einfädeln, rundherum waren alle getestet, das gehört heute ja schon zum guten Ton, wenn man sich außerhalb seiner vier Wände und nicht in Geschäften bewegt. Die Heimfahrt allerdings war dann schon etwas spannender. Schneetreiben auf der Flattnitz und LKW-Kolonnenverkehr durch das Murtal, weil die Brückenpfeiler der Autobahn wegen einer nicht ganz harmlosen Mure anscheinend ins statische Schieflicht geraten sind. Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, mich auf vier Rädern wohl zu fühlen! Einen Eisschleuderfahrkurs absolviert zu haben. Mit den verschiedensten Möbeltransportern schon durch ganz Österreich getingelt zu sein. Selbstvertrauen hinterm Steuer ist manchmal schon recht hilfreich.

 

Neuigkeiten wie eine ziemlich wilde Knieverletzung meines Bruders durch Skisturz, Beinverletzung des Sohnes einer lieben Freundin bei Holzarbeiten mit Hubschrauberabtransport aus dem Wald und Beziehungsprobleme einer anderen Freundin brachten meine Gedanken Tag für Tag zum Wirbeln. Was gab es diese Woche für eine unheilsame Gestirnskonstellation?!? Dass dann inmitten dieser durchwachsenen Ferienwoche auch noch ein tieftrauriges Ereignis dazukam, das will ich wohl kurz erwähnen, aber mehr geht nicht, da fehlen selbst mir die Worte. Im Kopf bin ich immer da und dort und vor allem dort und habe das Gefühl, ich kann dem für gewöhnlich fröhlich-entspannten Ferienalltag nicht nachgehen, weil mir das unpassend vorkommt. Vielleicht hilft zumindest das Denken an dort ein klein wenig, vielleicht ist es spürbar, gibt Kraft, gibt Zuversicht.

 

Dagegen wirkt dann eine ins Hausinnere Wassertröpfchen kondensierende Strangentlüftung am Dachboden wie ein schlechter Koboldstreich, den man schon fast nicht mehr ernst nehmen kann. Ernst genommen habe ich es dann doch und musste wieder einmal mit Erstaunen feststellen, dass ich persönlich schimpfendes Gerede über unzuverlässige Handwerker so gar nicht bestätigen kann. Tags darauf, es war bitteschön am Freitagabend um 19.30 Uhr, standen die zwei Fachmänner vor dem Haus, mit Wärmebildkamera und Holzfeuchtemessgerät, sind den Tropfen auf die Spur gekommen und konnten uns beruhigen. Dass man seinen Bruder in absoluter Finsternis mit dieser Spezialkamera finden kann, gleichzeitig weiß, dass er kein Fieber hat, und dass das Fell der Katze unglaublich gut isoliert, das faszinierte unsere Burschen natürlich sehr. Der Fachmännerbesuch war somit ein ungeplantes willkommenes Technologie-Abenteuer an einem Ferienabend, der sonst vielleicht gar nicht so vielversprechend gewesen wäre.

 

Ja, und dann kommt da so ein wunderschön klirrkaltes und sonniges Wochenende daher, windfrei, Hiobsbotschaften-frei. Es werden die Ski eingepackt, es wird gut gekocht (für uns) und sogar frei Haus geliefert, die Tochter bäckt wieder und die Burschen verstehen sich ungewohnt gut. Die Pisten sind genial knackig und gut präpariert, das Herz jubelt, und dann sagt einer ganz leise am Sessellift: „Irgendwie schade, dass morgen die Ferien schon wieder zu Ende sind.“

 

Nach herrlichem Schokoladenkuchen und Sonntagskaffee gehe ich in mein Büro, um mir Überblick über jene Dinge zu verschaffen, die in dieser planlos turbulenten Woche liegengeblieben sind. Ich muss schmunzeln. Vor den Ferien habe ich mir eine kleine Liste zusammengeschrieben, was ich nicht alles in dieser Kalenderwoche Sechs erledigen will, weil ja Ferien sind und somit unermesslich viel Zeit für Dinge vorhanden wäre wie: Bilder aufhängen, Gewand durchräumen, Kinderbücher sortieren, Postkarte an X und Y schreiben, Fotoalbum beschriften, alten Kinderkrams via online-Flohmarkt verscherbeln, eine Skitour zu zweit gehen ... Nun ratet mal, wie viel davon abgehakt ist?

 

Schon am Mittwoch fragte ich meinen Liebsten, ob er zufrieden sei mit dieser Urlaubswoche oder ob er gerne etwas unternehmen würde, gerne Zeit für sich hätte, ob wir was planen sollten ... „Es passt so wunderbar wie es ist.“ Was soll ich dem hinzufügen? Wenn Plan A nicht so ganz gelingt, könnte ich für meine innere Zufriedenheit ja immer noch behaupten, so wie es ist, wäre ohnedies auf Plan B gestanden.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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