Himmelhoch jauchzend

 

Die Berge glühen. Immer wieder wundere ich mich über dieses Naturschauspiel, das mir allerdings nur beschieden ist, wenn ich früh genug (derzeit vor halb sieben) an meinem Schreibtisch sitze. Wunderschön sind sie, die verschneiten Bergspitzen und steilen Hänge und Kare im rosafarbenen Licht der Morgensonne. Dass das Phänomen dieser Färbung durch die Rayleigh-Streuung erklärt werden kann, weiß ich (wieder) seit Freitag dank dem Physikunterricht meiner Tochter. Hat schon was Gutes, drei Tage in der Woche eine Mittelschülerin zu Hause zu haben und ihr ab und zu während ihrer Unterrichtsstunden über die Schulter zu blicken – was ich da so alles wieder auffrische von meinem Gymnasialwissen! Zurück zu meinen Bergen: Es ist so ein sanftes, stilles Erwachen der Natur, ein leiser und doch ausdrucksvoller Gruß der Sonne, die mir einen zauberhaften Tag ankündigt. Was wird er bringen, dieser Sonnensonntag, dieser Abschluss der Woche, dieses Paket an Belohnungsstunden für emsiges Schaffen wochentags? Früher einmal haben viele Menschen sicherlich sehnsüchtig auf diesen Sonntag hingearbeitet. Ich durfte ja in den letzten Monaten eine wissenschaftliche Abhandlung über den Bau des Tauerntunnels für die Eisenbahn lesen. Unglaublich, was diese Arbeiter leisten mussten, leisten konnten! Dass denen der Sonntag heilig war, so oder so, das glaube ich sofort. Das war ein einziges tiefes Luftholen und Kräftesammeln nach sechs Tagen knochenharter Arbeit.

 

So geht es uns, in meiner Familie zumindest, nicht. Dass die Woche einen totalen Erschöpfungszustand bringt, der dringend am Sonntag ausgeglichen werden muss, das kann ich von mir nun wirklich nicht behaupten. Ja, natürlich, wir alle haben gut oder viel zu tun. Wir sind eingespannt. Manche sehr. Haben viele Termine und tageweise tatsächlich wenige Momente zum zwischenzeitlichen Durchschnaufen. Doch sollten wir uns immer wieder bewusst sein, in welch privilegierter Zeit wir leben. Viele beklagen oft, unsere Kinder würden in einem schwierigen Zeitalter aufwachsen, es gebe so viel Druck, so hohe Erwartungen, einen so arg umstrittenen Arbeitsmarkt, so viel Digitalisierung, die sie von der bodenständigen Realität abbringt ... Doch ist das wirklich schwierig? Oder ist das anders? Vielleicht sogar nicht nur negativ anders? Sie müssen nicht ums Überleben kämpfen. Sie müssen nicht hungern. Sie haben gute medizinische Versorgung, wenn etwas passiert, wenn sie erkranken, ja, man kann sogar gute professionelle Unterstützung finden, wenn es ihren jungen Kinderseelen aus welchen Gründen auch immer nicht so gut geht und man selbst als Erwachsener nicht weiterweiß. Und was viele vergessen: Die Kinder selbst leben nicht im ständigen Vergleich mit der Vergangenheit, mit dem Großwerden, mit den Bedingungen der Kindheit ihrer Vorfahren. Sie leben einfach ihr Leben. Sie haben aufmerksame Eltern, die sich Zeit nehmen wollen und auch können für ihre Nachkommen. Die ihnen zuhören, die ihnen Stütze sind, die ihnen bei Entscheidungen helfen, vor allem aber, die ihnen die Freiheit lassen, Entscheidungen selbst zu treffen. Kein Verheiraten hin auf den großen Nachbarbauernhof, weil das gut wegen der Felder zusammenpasst. Keine erzwungene Berufswahl, weil das Gewerbe des Vaters aufrechterhalten werden muss. Natürlich gibt es derartige und ähnliche Wünsche der Eltern auch heutzutage noch, aber kaum einmal wirklich eine Verpflichtung, dem Folge zu leisten. Dass es allerdings gelebter Alltag war, ist nicht ewig weit weg. Und dass sich in diesen paar Jahrzehnten vieles zum Positiven entwickelt hat, sollte im allgemeinen Grummeln und Schimpfen über das Jetzt nicht vergessen werden. Wenn sich Eltern darüber beschweren, wie schlecht es unseren Kindern in der heutigen Zeit gehe, wie schwer sie es haben, was für Bürden sie nicht auf sich nehmen müssen, dann finde ich das wirklich Jammern auf äußerst hohem Niveau. Das ist jetzt eine schrecklich pauschalisierte Aussage, ich weiß. Doch ich denke, dass wir so ganz pauschal behaupten können, dass wir es im Herzen von Europa, in Österreich, nun im 21. Jahrhundert prinzipiell wirklich nicht so schlecht haben.

 

Wie bin ich jetzt eigentlich darauf gekommen? Ach ja, der Gedanke hat bei dem Überlegen begonnen, was ich mit meinen heutigen wunderbar unerfüllten und unverplanten Sonntagsstunden so mache. Genau in diesem Moment kommt die mich wirklich amüsierende Frage meiner Tochter: „Ist es unsonntäglich, wenn ich mich jetzt einfach auf mein Bett lege und ein paar lustige Videos anschaue? Wie mein kleiner Bruder?“ Der hat dieselbe Frage nämlich, etwas unpoetischer, eine Viertelstunde davor gestellt, weil der große Bruder schon auf der Skipiste war, Papa sich das Skirennen im Fernsehen ansah und ich mich als Mama gerade überhaupt nicht zuständig fühlte, die Spielpartnerin zu mimen. Nein, ist es nicht! Warum mich diese Frage so amüsiert? Weil mir einen Moment davor der Gedanke kam: Ist es unsonntäglich, wenn ich endlich den Staubsaugersack durchwühle (der schon seit ungefähr zwei Monaten in einer Ecke der Garderobe darauf wartet, durchwühlt zu werden, weil es beim Absaugen eines Fensterbretts wieder einmal so herrlich geklappert hat, ohne dass ich erkennen konnte, was das inhalierte Gut war), weil mir eben so ganz sonntäglich einmal gar nichts anderes in die Quere kommt, das mich genau von dieser unliebsamen Tätigkeit abhalten könnte? Nein, ist es nicht! Tu, was du nicht lassen kannst und lassen willst – denn heute kannst du dir dafür Zeit nehmen! Und vor allem dann, wenn du dich hiernach besser fühlst, weil du zufrieden bist, dass du etwas, das du ewig und drei Tage auf die lange Bank geschoben hast, erledigen konntest. Dann ist das doch eindeutig absolut sonntägliche Erholung! Ob ich mit dir ein paar Bilder aufhängen könnte nach dem Skirennen? Na klar! Noch eine Position weniger auf der verstaubten ‚Nicht-so-dringend-aber-doch-zu-tun’-Liste. Das wird ja immer besser, die Sonntagsfröhlichkeit wächst von nützlicher Kleintat zu nützlicher Kleintat.

 

Und wenn ich euch jetzt noch erzähle, dass ich bei unserem Morgenspaziergang bereits die ersten Frühlingsboten aus den besonnten Böschungen herausblitzen sah, dass ich sowohl eine Tageszeitung als auch mein aktuelles Lesebuch in der Hand hatte (nicht nur Alibi-mäßig gehalten, nein, wirklich darin gelesen!), dass ich nachmittags erwartungsvoll der Karotten-Apfel-Torte meiner Tochter entgegenblicke und mich dabei gleich doppelt freue, meine Lieben bereits nach dem Frühstück zu einem Spaziergang überredet zu haben, da zu dieser Stunde der Himmel noch ungetrübt schön strahlte und vor allem der Wind nicht blies, weil ihm wetterstimmungsmäßig einfach noch nicht danach war, dann spürt ihr meine gelassene Sonntagszufriedenheit ganz sicher in jeder einzelnen meiner Zeilen, stimmt’s?

So auch euch: viel Freude an der wohlverdienten Freizeit!

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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Kommentare: 1
  • #1

    Christina L. (Mittwoch, 10 März 2021 20:10)

    Liebe Eva!
    Einfach wundervoll und so wahr...!!
    Danke für deine Zeilen!
    Freu mich schon auf den nächsten Beitrag (hoffentlich bald... :) )!
    Alles Liebe, Christina

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