Loslassen

 

Als ich gestern spätabends endlich mit unserem Jüngsten (ja, auch bei der siebenjährigen Sportskanone gibt es am Samstag bereits ein Spätabends!) gemütlich in seinem Bett kuschelte und darauf wartete, dass er einschlief, kamen viele Erinnerungen an die früheren Jahre auf. Jahre, in denen ich nicht nur ab und zu und ausnahmsweise, sondern Tag für Tag neben dem niedrigen Kinderbettchen am Boden auf einem weichen Schaffell kauerte, um dort händchenhaltend zu warten, bis die Spannung in den Muskeln von Kind Eins, Zwei oder dann eben Drei losließ, bis auf einmal ein unwillkürliches Zucken durch den kleinen Körper ging, das mir signalisierte, dass ich nun meine Hand aus der kleinen Kinderhand rausschälen und leise bei der Zimmertür hinausschleichen durfte. Das Kind hatte sich in diesen Momenten dem Schlaf in die Hände gelegt und meine somit gut loslassen können. Was er wohl träumen wird?, dachte ich mir und schälte mich meinerseits aus seinem Bett heraus.

 

Heute beim Frühstück überlege ich, was ich zur Zeit gerne loslassen möchte. Das vorabendliche Kuscheln und das entspannte Loslassen meines Kleinen kommt mir nämlich bei meinem Sonntagstee in den Sinn, da ich in den Nachtstunden davor von den verbliebenen Baumstrünken meines Lieblingsspielplatzes (ihr erinnert euch ...) geträumt habe. Schrecklich traurig versuchte ich in diesem Traum, rückgängig zu machen, was nicht rückgängig zu machen war. Sonderbar. Es muss mich wohl immer noch beschäftigen. So spaziere ich kurz darauf dorthin, mit der Idee, diesen Ort heute vielleicht anders betrachten zu können. Die morgendliche Frühlingssonne taucht die Maiwiesen rundherum in ein zauberhaft leuchtendes Grün, ein kühles Lüftchen streift durch die Äste jener Bäume, die stehen bleiben durften. Und ich versuche, den Spielplatz als Ganzes zu sehen, nicht nur das, was fehlt. Immer noch sehr einladend, sage ich mir. Demnächst möchte ich mit meiner Sportskanone dorthin radeln und mit dem nun neu gestalteten und einfach anders schönen Ort Frieden schließen. Die Wehmut loslassen.

 

So setze ich meinen Loslass-Spaziergang fort in Richtung unseres alten Mietshäuschens, von dem ich auch immer wieder – in kleineren oder größeren Abständen – träume. Wild träume. Hektisch und manchmal sogar hilflos, verzweifelt. In diesen Träumen muss ich immer noch etwas ausräumen, habe ich etwas vergessen, ist noch etwas fertigzumachen, bevor die drängelnden Nachmieter vor der Türe stehen und mich missmutig anblicken: immer noch da?! Verrückt, oder? Eng war es schon, damals vor fast eineinhalb Jahren. Aber dass mich das immer noch in meinen Träumen beschäftigt? Da hängt wohl noch was fest, denke ich mir, und spaziere in Richtung meiner alten Waldlaufroute, von der aus man an einem bestimmten Plätzchen einen wunderschönen Ausblick auf unser ehemaliges Holzhäuschen hat. Setze mich dort aufs Waldwegbankerl und blicke über die große Weide hinweg zu unserem langjährigen Lebensplatz. Was muss ich da wohl noch loslassen, um in der Nachtruhe nicht mehr vom verflixten Kistenpacken eingeholt zu werden? Ganz klar wird es mir in diesem Moment des Hineinhorchens nicht, doch eines spüre ich: Schön sind die Erinnerungen an diese Zeit, aber es ist auch gut, dass wir nun sind, wo wir sind. Gelandet. Angekommen. Und symbolisch schaue ich ganz eindringlich auf das Häuschen und sein Rundherum hinab, beweise mir sozusagen, dass da keine Schachtel mehr steht, die noch irgendwie zu uns gehören würde. Hebe dann mit Daumen und Zeigefinger das Häuschen in der Ferne hoch und stecke es in meine Jackentasche. Da bist und bleibst du jetzt, als Miniaturerinnerung, und auf alle Fälle zu klein, um noch Ärger machen zu können.

 

Mal sehen, ob mir meine Loslasstricks helfen werden, zur Ruhe zu kommen. Schlafen werde ich heute nach diesem herrlichen Sonntagsspaziergang auf alle Fälle gut! Mit oder ohne Träume ...

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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Kommentare: 1
  • #1

    Slowak Alfred sen. (Montag, 24 Mai 2021 16:20)

    Wieder ein gefühlvoller Blog,der mich anspricht.Es geht mir ähnlich wenn ich in Goldegg am ehemals gemieteten Haus vorbeifahre und an unseren Hochzeitstag vor 50 Jahren denke.

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