Silencium

 

„Silence is probably one of the loudest sounds and heaviest sounds that you are ever likely to experience.“ (Evelyn Glennie)

 

Die Stille hat eine unglaubliche Kraft in sich. Evelyn Glennie, weltberühmte, fast gehörlose Percussion-Künstlerin, spricht von der akustischen Stille als einen der lautesten und mächtigsten Klänge, die wir als Menschen wahrnehmen können. Und auch die Stille in uns drinnen, die Ruhe als Gefühl ist große Kraftquelle, lässt sie uns doch wirklich momentweise, oder wenn wir Glück haben, auch noch länger, in uns hineinhören und uns wahrnehmen, was wir wirklich gerade wollen, was wir brauchen, wie wir uns fühlen, was uns fehlt, was wir suchen.

 

Im Getriebensein des Alltags landen wir nur sehr selten in dieser Stille. Vor lauter zeitlichem Getöse, terminlichem Rauschen und druckvollem Wirbeln gibt es keinen stillen Punkt in uns, gibt es kein Innehalten, oft nicht einmal ein richtiges Atmen. Doch gerade das kann uns in turbulenten Zeiten retten. Wenn wir uns kurz Zeit nehmen, unseren Atem wahrnehmen, ihn bewusst spüren, ihn vielleicht sogar gekonnt verlangsamen, vertiefen, schafft das alleine schon eine alles überspannende Ruhe. Dann kommt das Bewusstsein für den Moment. Und die Kraft – in welcher Form auch immer! Gedankenvolle Kraft, schöpferische Kraft, kommunikative Kraft.

 

Gestern war ein stiller Tag in meinem Leben. Nicht traurig still. Ganz im Gegenteil. Ein Meilenstein in diesem Frühsommer war für mich geschafft. Es war eine Kombination aus Erledigtem, positiv Abgeschlossenem, problemlos über die Bühne Gegangenem und guter Über- oder Rückgabe kurzfristig angenommener Verantwortung. Ich hatte wirklich das Gefühl, am Ende einer monatelangen Wanderung mit viel unerwarteten Wegesverlängerungen, abgeschnittenen, weil vermurten Abschnitten, Wetterturbulenzen und Wegfallen so mancher Wegbegleiter nun gut am Ziel angekommen zu sein. Ich konnte meinen Kalender liegen, meinen Computer schlafen lassen, ich hatte weder Aufgaben noch Verpflichtungen noch Tagesvorhaben und nahm das erste Mal in diesem mittlerweile im Sommer angelangten Jahr wahr, dass ich eine Terrasse mit Garten herum habe, die alle beide im Grunde nur für mich reserviert sind – natürlich auch für andere Ruhe suchende Familienmitglieder. Doch vorrangig an diesem 26. Juni einmal für mich. Und in dieser Ruhe, in dieser tiefen innerlichen Stille kamen dann ganz andere Dinge zum Vorschein, die schon lange im Verborgenen lagen. Vergessen waren. Nicht zuletzt ausgelöst durch meine aktuelle Lektüre, der ich mich an diesem Tag in aller Länge und mit ungeteilter Konzentration widmete. Durch den Text kamen Bilder aus meinem eigenen Leben zurück, Begebenheiten, Momente, deren Erinnerung zwar im ersten Moment verstaubt schien, plötzlich aber durch diese Unabgelenktheit Farbe annahmen, bunt und lebendig wurden, greifbar. Weit zurückliegende Begebenheiten wieder ins Gedächtnis zu rufen und vom heutigen Standpunkt zu sehen, ist ein spannendes Gedankenexperiment. Weil sich Erinnerungen auch verändern, weil sie biegsam sind und sich durch die in den Jahren dazwischen angesammelte Lebenserfahrung auch anders anfühlen, man anders dazu lächelt oder ... ja, bei gewissen vielleicht auch anders dazu traurig ist.

 

Doch zum Traurigsein ließen mir die verspielten Schmetterlinge, die im Kanon erklingenden Vogelstimmen, die Konkurrenzkämpfe von diversem Federvieh im gegenüberliegenden Wäldchen, die zufrieden schnaubenden, angrenzend grasenden Pferde, das auf der obersten Zaunlatte balancierende Eichkätzchen auf Nachmittagsstreifzug, die sich stetig verändernden Wolkenbilder am Himmel abwechselnd, nach- oder auch über- und nebeneinander keine Gelegenheit. Gedanken kamen, Gedanken gingen, dann las ich wieder weiter, dann schweifte ich wieder ab in die Erinnerung, dann fischten mich wieder eine summende Biene, ein Windstoß, das Rascheln der kleinen Birkenblätter aus der vergangenen Welt zurück ins Jetzt. Es war wie eine Katharsis. Allerdings eine meditative Katharsis. Kein emotionales Abreagieren, sondern ein emotionales Rasten. Ruhen. Stillwerden. Nachsinnen. Ich habe in diesen wenigen Stunden so viel Kraft getankt, dass ich mich heute bärenstark fühle. Oder vielleicht eher löwinnenstark, denn mein Gefühl für mich selbst nach diesen Stunden hat etwas Geschmeidiges, etwas Anmutiges und Luftiges. Die Spannkraft ist wieder da, die Neugierde auf Neues, die Freude für das, was kommt.

 

Powerful silence – wie dankbar bin ich für diese Momente.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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