Bitte immer miteinander

 

Wohin soll unsere Reise gehen? Diese Frage habe ich mir oft gestellt in den letzten eineinhalb Jahren. Manchmal habe ich sie mir natürlich auch schon davor gestellt. Familienleben mit ein, zwei, drei Kindern ist nicht immer nur glückvoll und sorgenfrei. Die Obhut für die Kleinen und Heranwachsenden wies auch mir ab und zu meine Grenzen auf, als Mutter und als Partnerin. Wohin treibt es uns? Manchmal war da auch das Gefühl des passiven Mitschwimmens mit den Ereignissen des Lebens. Doch in dem Ausmaß, in dem ich und wir das Gefühl hatten, wir könnten das Ganze überblicken, es verstehen und gut beeinflussen, kamen wir auch mit Konfliktsituationen zurecht und schafften es, gemeinsam positiv nach vorne zu blicken. Schafften es, dort, wo es wichtig war, uns zu einigen, und dort, wo es nicht wichtig war, das Anderssein und Andersdenken des Gegenübers zu akzeptieren.

 

Die letzten eineinhalb Jahre waren da in meinem Zweifeln und Hadern anders. Sie haben mich darüber oft und lang nachdenken lassen, warum, sobald der Eindruck da ist, die gröbste Gefahr sei gerade einmal gebannt, schon wieder politische Schmutzwäsche gewaschen werden muss. Warum Reduktion nicht zur befreienden Besinnung aufs Wesentliche, sondern zur schier erdrückenden Sehnsucht nach all der Fülle und dem Übermaß, wie wir sie davor für garantiert genommen haben, führt. Warum es in der Gesellschaft so schwierig ist, verschiedene Meinungen gelten zu lassen, sondern unterschiedliche Meinungen postwendend zu Lagerbildung, Streit und Hetze führen. Warum der wirtschaftliche Nutzen stets vor der logischen Argumentation, warum durch Angst heraufbeschwörte Stimmungsmache vor Wissenschaftlichkeit und Objektivität kommt. Warum im Beruf von uns Menschen Selbständigkeit gefordert wird, uns im Privaten aber auf einmal das Recht auf Selbstbestimmung durch nicht offiziell definierte, aber doch eindeutig vorhandene Einschränkungen beschnitten wird. Warum uns – von wem oder was auch immer, und sei es der Zufall heraus aus dem Chaos – eine große Lernaufgabe zuteil wird und der Großteil der Menschheit so gar nicht bereit ist, tatsächlich daraus zu lernen.

 

Ich lese gerade ein Buch von Christoph Ransmayr: Der Fallmeister. Ein Buch, das mir einmal mehr zu denken aufgibt. Der Autor skizziert eine Welt in der spürbar nicht allzu fernen Zukunft, in der ich nicht leben möchte. Die Welt wird diktiert von Machtkämpfen basierend auf dem Besitztum und der Verwaltung von Wasser. Hydrosyndikate rund um den Erdball ziehen die Fäden, mit militärischer Strenge werden grenzüberschreitende Züge und Flughäfen überwacht, bewaffnetes Bahnpersonal überprüft die Daten der Einreisenden. Jeglicher öffentliche Raum hat digitale Ohren und Augen, nachlässig getarnt, da die Überwachung selbstverständlicher Alltag ist. Wer Zugang zu Wasser hat, ist reich. Wer keinen hat, muss teuer dafür bezahlen. Kleinste Länder, Grafschaften und Clans wollen rein bleiben und gestatten nicht einmal den Funken von Zuwanderung und Untermischung von Fremdem. Der Protagonist selbst wächst in einer schmerzenden Einsamkeit auf, in der es nur „Schirmlehrer“ gibt: Unterricht digital aus der Distanz – der Vater will es so. Kinder können auch so gut lernen. Warum das Risiko eingehen und unter Menschen gehen. Die Idylle der Zurückgezogenheit gefährden ... Ein eiskaltes Schlagwort in den verschiedensten Kulturen und Gemeinschaften ist immer wieder anzutreffen: Jeder für sich.

 

Wie weit sind wir entfernt von Ransmayrs Welt des Fallmeisters? Wie viel Aufgaben werden uns noch unerkannt, nicht wahrgenommen zufallen, bevor wir aufwachen und sehen, dass wir so nicht weitermachen können?

 

An diesem Wochenende bin ich alleine mit den Kindern. Aus solch einer sehr kurzen örtlichen Trennung ergeben sich für mich immer wieder ungewöhnliche Stunden. Stunden, in denen ich merke, was mir so sehr fehlt, wenn der Mensch in meinem Leben, der mir der wichtigste ist, nicht greifbar nahe verweilt. Es ist ein Gefühl von Ausgesetztheit. Nicht, weil ich drei Tage ohne ihn nicht sein kann, sondern weil das Kopfkino Zeit hat, so richtig durchzustarten. Erst recht, wenn ich abtauche in eine literarische Welt, die meine Gedanken ziemlich durcheinanderwirft. Ich für mich auf alle Fälle weiß ganz gewiss, ich möchte nie, nie, nie in einer Welt leben, in der die Prämisse ‚Jeder für sich’ gilt. Es läge für mich eine unerträgliche, stets präsente Einsamkeit darin, jedem einzelnen Menschen mit dem Wissen zu begegnen, dass ich keinerlei Bedeutung für ihn habe. Dann wäre das Leben nicht mehr lebenswert.

 

Christoph Ransmayr, ich hoffe, dein Märchen wird niemals wahr! Ich hoffe auch, dass diese Geschichte viele Menschen lesen und dadurch um ein Quäntchen offener, munterer und gewillter gegen den Weg, die Reise in eben eine solche Welt auftreten. Im tiefen Vertrauen auf das Gute und Helle, auch wenn das Dunkle zeitweise lange Schatten wirft.

 

 

Eva Adelbrecht

Team von Buchhandlung und Verlag Pfeifenberger

Lektorin & Autorin

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